Besitzstreit aus einer Erbschaft

Kategorie: Stadtarchiv Kerpen Schöffengericht Kerpen, GA, Dep. St. Martinus 1.2 Erb- und Besitzstreitigkeiten

Ausgangpunkt für den Rechtsstreit ist, dass Wilhelm Mey, Bürger zu Köln, zu Ohren gekommen war, dass die Erben von Henrich Nelles N. Scherer, Christian Werner, Offerman von Geuenich, und andere Ländereien zu Lommersum an Christian Roggendorff, Eingesessenen von Lommersum, zu verkaufen im Begriff waren. Am 17.3.1728 reicht er seine Klage beim Amtsgericht ein. Er bringt vor, dass es sich bei diesen Ländereien um Unterpfänder handle, die dem Heinrich Nelles einst von Breisigs Erben für ein Kapital von 300 Tlr verschrieben worden waren und an denen er, angeblich, kraft Erbschaft über seine Ehefrau Catharina Viant, die Witwe Nelles', inzwischen ein Anrecht erworben hatte. Wegen Nichtzahlung der Pensionen auf das Kapital seien ihm die Güter am 1.10.1687 per Taxation zugeteilt worden. Das Gericht solle den Verkauf entweder verbieten oder, falls er schon geschehen sei, die Kaufschillinge beschlagnahmen ("in Zuschlag legen") und ihm zuweisen. Zum Beweis legt er zwei Dokumentenauszüge vor: einmal aus dem Testament des Heinrich Nelles [o. D.], in dem dieser seiner Frau Catharina Viant seine beiden nebeneinanderliegenden Häuser und alles, was er in der Herrlichkeit Lommersum zu fordern habe, vermacht, und zum zweiten aus dem Testament der Catharina Viant [o. D.], die ihren Ehemann Wilhelm Mey zum Universalerben erklärt und darüber hinaus bestimmt, dass das Haus, in dem beide wohnten, von der allgemeinen Vererbung ausgenommen werde ("der generaler haeredis institutionem nit zugelegt") und ihm, Mey, zu Eigentum "seyn undt bleiben solle" (fol. 2f). Das Gericht gibt dem statt und belegt die Kaufgelder mit Arrest. Die Beklagten weisen die Ansprüche zurück und fordern die Annullierung des Arrests. Sie behaupten, dass die Forderung aus der Kapitalverschreibung als "bloße Personal-Forderung" nicht Teil der Universalerbeinsetzung sei, sondern diese sich auf die gereiten Güter beziehe, dass also aus der alleinigen Verpfändung solcher Güter noch kein Besitzanspruch erwachse. Der Erblasser Nelles habe sie nämlich wirklich (im Sinne eines Dominiums - "dominii vet quasi dominii") und nicht nur durch Pfandrecht ("iure pignoris") [wie jetzt Mey] besessen. Scherer, Offermann und Kons. verlangen darüber hinaus eine Kaution vom Kläger, der als Bürger von Köln nicht dem hiesigen Gerichtszwang unterstehe (fol. 3-5). Die Frage der Vererbung von Forderungen wird im folgenden eine zentrale Rolle in den Argumentationen spielen. Denn Mey besteht darauf, dass auch die Forderung und mithin die ihm durch Taxation zugeteilten Güter im Testament seiner Frau vererbt worden seien. Dabei bezieht er sich auf die jülich-bergische Landesordnung cap. 93 § "so viel nun ..." [= in cap. 95 "Von der Leibzucht"] (fol. 5v-8). Er bringt zum Beleg den Obligationsvertrag ein, den 1661 Heinrich Nelles mit Johann von Lessenich und seiner Ehefrau Catharina von Bonn, Bürger zu Köln, abgeschlossen hatte, [der dann wohl auf Seiten der Schuldner an Breisigs Erben gekommen war] (fol. 8-11). Zur Entkräftung der Forderung legen die Beklagten ihrerseits einen Protokollauszug mit der Abrechnung über den Umschlag der Pfandgüter vom 18.11.1687 vor, die Nelles damals an die Erben von Niclas Breisig geltend machte. Sie betrug zwar 66 fl 18 Albus 4 Hl Gerichtsjura und 3 fl 31 Albus Unkosten + 147 Rtlr 36 Albus an Pensionen, wurde vom Gericht aber moderiert, d. h. ermäßigt. Der Streit, wem nun die benannten Ländereien gehören, geht weiterhin darum, ob die in Hypothek gestellten Grundstücke mobiles oder immobiles Gut seien. Nur im ersteren Fall nämlich, auf den sich Wilhelm Mey festlegt, wären sie als Bestandteil der Forderung zu den vererbten Mobilien zu rechnen. [NB: Heinrich Nelles hatte seiner Ehefrau ja nur die Forderungen, nicht seine Immobilien vermacht, s. o.] Am 25.9. stellt Wilhelm Mey gegen die Erben Nelles einen Antrag auf ein Säumnisurteil, weil sie auf seine Triplik vom 9.8. nicht geantwortet hatten (fol. 17). In den folgenden Wochen und Monaten zwischen dem 13.10.1728 und dem 1.2.1729 bitten die Beklagten immer wieder um Aufschub für ihre Entgegnung, so dass sie schließlich einen Kalumnieneid ("juramentum calumniae et malitiae", d. h. die Versicherung, keine Schikanen im Sinne weiterer Prozessverhinderung mehr vorzunehmen) leisten sollen. Doch sie fordern nun dasselbe vom Kläger und legen dem Gericht noch einmal ihre Positionen und Argumente, jetzt in Form von Thesen, vor, die der Kläger bestätigen soll ("wahr ist ...", fol. 19v-21). Es geht darin vor allem um den Verbleib der Dokumente zur Erbschaft des Heinrich Nelles, darunter diejenigen zu den Breisig'schen Gütern, die Wilhelm Mey besitzen ("hinter sich haben") soll. Sie unterstellen ihm, dass er selbst bereits einen Morgen Land davon gekauft und dem Christian Roggendorf den Kaufbrief dafür gezeigt habe [d. h. die Erbschaft praktisch anerkannt habe]. Der Arrest soll daher annuliert und der Gegner zur Kautionsleistung gemahnt werden. Außerdem soll das Gericht einen Termin für die Vereidigung bestimmen und dem Kläger auferlegen, für künftige Zustellungen ("pro faciendis insinuationibus") einen Einwohner Kerpens zu bestimmen. Sie schlagen dafür Reiner Beyenburg vor. Zur Bekräftigung fügen sie ein Attest des Lommersumer Gerichts bei, das bescheinigt, dass seinem "Brauch undt Praxi" nach alle dem Gericht vorgelegten, mit dem Gerichtssiegel beglaubigten und dem Protokoll einverleibten Obligationen "vor Erb zu halten seyen" (fol. 22). Wilhelm Mey protestiert dagegen am 6.4. und verlangt die Beendigung des Verfahrens durch die Ansetzung der Inrotulation (fol. 22v, 23-26). Er bleibt dabei: die verpfändeten Ländereien sind nicht mehr Eigentum ("dominium") und damit auch nicht Erbgut, sondern Teil der Forderung, die Nelles zunächst seiner Frau und diese mit der Universalerbenschaft ihm, Mey, vererbt hat. Erst jetzt greift das Gericht den schon im Vorjahr von den Beklagten erwirkten amtlichen Befehl an Wilhelm Mey auf, die entsprechenden Urkunden zu den Nelles'schen Gütern, die er noch besitze, und die Schlüssel für die Häuser abzuliefern. Mey hatte bisher, obgleich er - pro forma - zugestimmt hatte, nicht Folge geleistet. Schon am 22.11.1728 war ihm deshalb unter Androhung einer Strafe von 10 Goldgulden eine letzte Frist bis zum 23.11. gesetzt worden (ausgestellt von Amtsschreibereiverwalter Friedrich Hermannus) (fol. 26f.). Die Inrotulation wird nun auf Freitag, den 10.6., festgelegt. Doch beide Parteien bringen danach noch einmal Schriften und Gegenschriften, jetzt in breiter juristischer Ausführlichkeit, zur Untermauerung ihrer Standpunkte ein, so dass der Termin immer wieder verschoben wird. Jetzt kommt auch heraus, dass der Kläger 1693 die Hälfte seines Hauses (s. o. Testament 2), auf dem von Heinrich Nelles her offensichtlich ebenfalls eine Hypothek stand (s. u. fol. 47), an Johann Wingens verkauft hatte. Das hätte er, so die Gegenseite, mit den, ihm nur "ad possessionem" zugewiesenen Pfandgütern jedoch nicht tun dürfen. Mey müsse also beweisen, dass er schon vor der Verpfändung einen Besitztitel hatte. Das sei aber nicht möglich, da zuvor Heinrich Nelles der langjährige Possessor gewesen sei und das Eigentum daran erworben habe ("ex possessione dominium probetur ad vulgaria") (fol. 30f.). Die Erben Nelles weisen nun sogar eine Bescheinigung des Gerichts zu Erkelenz für Christian Werner Offerman aus Geuenich vor, die dem Tenor des vorigen Attests des Gerichts zu Lommersum entspricht: Alle Obligationen und Rentverschreibungen, die das Gericht passieren und von diesem gebilligt werden, auch wenn sie auf mobilem Kapital gründeten, würden für immobil und damit ungereites Erbgut gehalten werden (22.6., unterzeichnet vom Schöffen C. H. Vogel, fol. 34f.). In seiner Antwortschrift vom 13.9.1729 schlägt Wilhelm Meys Anwalt bei im wesentlichen gleichbleibender Argumentation schärfere Töne an ("gegenteiliger Schrifftsteller in seinem spitzfindigen Kopf, welcher wohl mit lautheren bicocerischen [= zweimal gekochten, wiederaufgewärmten, d. h. alten] Sachen sich bemühen muss", fol. 39). Die Eingabe wird der Gegenseite auch nicht mitgeteilt, sondern, ohne Gerichtsbeschluss nur in den Akten vermerkt, ebenso wie auch die erneute "ahnzügliche Bitt" der Erben Nelles vom 15.10. (fol. 40ff.). Statt dessen ermahnt das Gericht die Beklagten, innerhalb von 14 Tagen ihre noch ausstehende Produkte zu den Akten einzubringen, die der Gerichtsbote Johann Jacob Graetz dann bei Reiner Beyenburg in Kerpen abliefern soll (14.11., fol. 42f.). Am 21.3.1730 ergeht ein Interlocut-[ = Zwischenurteil], kraft dessen dann ab dem 28.3., um 2 Uhr nachmittags, am Gericht in Kerpen mündlich über die am 1.2.1729 eingereichten Thesen weiterverhandelt werden soll. Auch soll der Kläger dann authentische Kopien der Testamente und weitere Beweise für seinen Besitzanspruch vorlegen oder eine Kaution leisten (fol 43). Wilhelm Mey, der selbst erscheint, geht darauf ein. Für die Übertragung der Testamentsauszüge ins Protokoll werden ihm 11 Pistolen berechnet. Er hinterlegt eine Kaution und benennt weiterhin die Wohnstätte des inzwischen verstorbenen Reiner Beyenburg als sein Stellvertreter-Domizil in Kerpen (fol. 43vf.). Beide Parteien (die Erben Nelles vertritt Christian Werner Offerman) leisten den Kalumnieneid, und Mey beantwortet die an ihn gerichteten Artikel vom 1.2.1729 (fol. 44-45). Er sagt, dass alle Briefschaften Heinrich Nelles' an den Testamentsvollstrecker Dr. De Monte gegangen seien, noch bevor er die Witwe Catharina Viant geheiratet habe. Die Sache mit dem Kaufbrief umgeht er: Er habe Roggendorff nur einen Auszug aus einer Kopie gezeigt; den Morgen Land, um den es ging, besäßen im Übrigen die Erben Nelles. In einer erneuten "Submission mit Deduction" darauf am 14.9.1730 legen diese noch einmal ihre Position dar. Sie bleiben dabei: die Breisig'schen Güter wie das Haus sind Immobiliar- und wirkliches Eigentum ("Dominium") Heinrich Nelles' gewesen, der damit hatte schalten und walten dürfen, wie es ihm beliebte (fol. 5-48). Sie bringen dazu eine Bescheinigung der Witwe von Johann Wingens, Veronica Roßbarth, jetzt verheiratet mit Hilger Schmitz und wohnhaft in Derkum, vom 31.5.1730 bei, dass ihr erster Ehemann und Barbara Wingens, verwitwete Godfried Jonen, ihr und den Erben Jonen gehörendes Haus von Heinrich Nelles in einem Erbkauf erworben hätten (Beilage Nr. 3). Dasselbe bezeugt ihnen Johann Broek aus Hausweiler, 68 Jahre alt: Heinrich Nelles habe das Haus in Derkum von den Erben Lessenichs erworben und an Johann Wingen verkauft, und zwar für Barbara Wingens, Witwe Jonen, damit sie ein Dach über dem Kopf habe "undt nicht auff der Straßen wohnen dörfte" (Beilage Nr. 4, fol. 48v.f). Ein drittes Beweisstück (Beilage Nr. 5, fol. 49f.) stammt vom Gericht zu Kerpen vom 28.4.1730. Es entspricht den Attesten der Gerichte Lommersum und Erkelenz. Die Schöffen verwiesen darin auch auf ein früheres Urteil in der Streitsache Vois ./. Kurffgen. Das Gericht nimmt die Eingaben entgegen und setzt den nächsten Inrotulationstermin auf den 3.10. an. Beide Parteien bleiben an diesem Tag aus und werden verurteilt, die Unkosten zu tragen. Statt dessen erheben sie noch einmal schriftlich Einrede und Antwort (21.11 Wilhelm Mey, fol. 50-52 / 1.2.1731 Erben Nelles, fol. 53-55v / 22.2. Wilhelm Mey, fol. 56-57v). Das Gericht nimmt die ausführlichen juristischen Schriftsätze aber nur noch kommentarlos zu Kenntnis und bleiben beim endgültigen Inrotulationstermin am 17.4.1731. Dann sollen beide Parteien, "mit nöthigen Sportulen gefast", erscheinen und es soll die Aktenzusammenstellung vollzogen werden ("cum executo reproducatur").

Jahr
1728 - 1731
Laufende Nummer
882
Herkunft
Beklagte(r): Heinrich Nelles Erben
Name / Kläger(in)
Kläger(in): Wilhelm May
Letztes Update
02.03.21, 18:53

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